Der Pseudo-Boccaccino des Wilhelm Bode 1890
Die Begründung einer Malerpersönlichkeit anhand eines Werkkomplexes und ihre Verortung zwischen Mailand und Venedig
Llane Fragoso Maldonado, MA
Giovanni Agostino da Lodi (ca. 1470 – 1520)
Der Auftakt des Giovanni Agostino da Lodi in der Kunstgeschichtsschreibung geht auf Wilhelm Bode 1890 zurück. Die eifrige Auseinandersetzung Bodes mit der lombardischen Malerei der Renaissance insbesondere mit der Nachfolge Leonardos, mündete in der Individualisierung einer bis dahin ungeahnten Malerpersönlichkeit. Nach damaliger kunstwissenschaftlicher Art und Weise gruppierte Bode eine Reihe Werke, die stilistisch miteinander übereinstimmten, zu der Zeit aber anderen Malern falsch zugeschrieben waren. Ihm zufolge stammten die Werke aus der Hand eines noch zu identifizierenden Malers, den er mit dem Notnamen Pseudo Boccaccino taufte.[1] Bode stellte außerdem fest, dass der Maler am Übergang von 15. zum 16. Jahrhundert sowohl in Mailand als auch in Venedig tätig war.
Die Gleichsetzung des Pseudo-Boccaccino mit dem Maler Giovanni Agostino da Lodi erfolgte einige Jahre später, die Signatur einer kleinen Tafel, die stilistisch in Übereinstimmung mit den von Bode bereit gestellten Referenzwerken steht, löste die Rätsel um die Identität des Malers. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde der Werkkatalog des Malers erheblich erweitert, wenngleich bis etwa 1980 kein Dokument erhalten war, das die Existenz des Malers beweisen konnte. Die bis heute aufgetauchten Lebenszeugnisse belegen ihn tätig in Mailand und in Venedig, stehen aber in keinerlei Bezug zu einem Werk des bislang zusammengestellten Kataloges.
Die Zusammenführung von Werk und Künstler bleibt immer noch eine der Hauptaufgaben der Kunstgeschichte, die dafür zur Verfügung stehenden Methoden stoßen im Fall Giovanni Agostino angesichts fehlender Dokumentation an ihre Grenzen, die Zugehörigkeit der Werke zueinander und ihre Zuweisung an den Maler basieren mit Ausnahme der signierten Tafel allein auf Stilkritik. Solange keine Dokumente den Bezug zwischen Werk und Urheber belegen oder weitere Signaturen auftauchen, bewegen wir uns im Rahmen der Plausibilität.
In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit der Entstehung der Künstlerpersönlichkeit des Pseudo-Boccaccino alias Giovanni Agostino da Lodi, seiner Rezeption sowie der Herstellung eines Catalogue Raisonné seines malerischen und graphischen Werkes. Da der Maler aufgrund der dünnen Quellenlage um ihn hauptsächlich durch die ihm zugewiesenen Werke greifbar wird, scheinen mir einige Strategien nützlich, um diese Plausibilität zu untermauern, wie z.B. die Neubewertung der Zugehörigkeit der Werke zueinander durch einen schärferen konsequenten Umriss der ästhetischen und technischen Aspekte, die die gesicherten Werke des Malers kennzeichnen: Duktus, physiognomische Typen, inhaltliches Repertoire, kompositorische Lösungen, Motive usw. sowie die zeitliche und räumliche Kontextualisierung der Werke. Die Herausforderung besteht in der Frage nach der wissenschaftlichen Katalogisierung der ihm zugewiesenen Werke - Rezeption- und Zuschreibungsgeschichte, Provenienz und Literaturverweise –, um einen Erkenntnisgewinn zu erreichen und die Künstlerpersönlichkeit weiter zu profilieren.
[1] Wilhelm Bode, Un maestro anonimo dell’antica scuola lombarda (Il Pseudo Boccaccino), in «Archivio Storico dell’Arte», III/H. 3., 1890. S. 193-195.
Llane Fragoso Maldonado, MA
Die gebürtige Mexikanerin studierte Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und ist derzeit Doktorandin am dortigen Kunsthistorischen Institut. In ihrer Dissertation, die von Prof. Dr. Wolf-Dietrich Löhr betreut wird, beschäftigt sie sich mit der von Wilhelm Bode 1890 begründeten anonymen Malerpersönlichkeit des Pseudo-Boccaccino, die später mit dem kaum dokumentierten Maler Giovanni Agostino da Lodi (*ca. 1470 - † ca. 1520) identifiziert wurde. Dieser war zwischen Mailand und Venedig tätig und gilt als Scharnier zwischen Leonardo und Giorgione.
Weitere Forschungsschwerpunkte sind der kulturelle Austausch in Norditalien während der Frühen Neuzeit, insbesondere zwischen Mailand und Venedig, sowie die Nachfolge Leonardos in Italien und Spanien.
Sie war Stipendiatin des mexikanischen Nationalrats für Wissenschaft und Technologie (CONACyT) und der Fondazione Giorgio Cini, Venedig.
Abbildungsverzeichnis
[von links nach rechts von oben nach unten)
Giovanni Agostino da Lodi, Madonna mit Kind, Hl. Katharina und Stifter (Mystische Hochzeit)
Tempera/Öl (?) auf Holz, 130 x 110 cm
Kirche Santo Stefano (Sakristei), Venedig
Giovanni Agostino da Lodi, Johannes der Täufer und Hieronymus
Tempera/Öl (?) auf Holz, 130 x 108 cm
Kirche Santo Stefano (Sakristei), Venedig
Giovanni Agostino da Lodi, Madonna mit Kind und zwei Betenden
Tempera/Öl (?) auf Holz, 58 x 78 cm
Museo di Capodimonte, Neapel
Giovanni Agostino da Lodi, Madonna mit Kind zwischen den hll. Simeon und Hieronymus
Tempera/Öl (?) auf Holz, 71 x 112 cm
Gallerie dell’Accademia, Venedig
Giovanni Bellini
Madonna mit Kind zwischen den hll. Magdalena und Katharina, um 1490
Tempera auf Holz, 58 x 107 cm
Galleria dell’Accademia, Venedig
Giovanni Agostino da Lodi, Heilige Familie
Tempera/Öl (?) auf Holz, 34 x 30 cm
Musée du Louvre, Paris
Giovanni Agostino da Lodi, Die hll. Magdalena und Martha
Tempera auf Holz, 60 x 42 cm
Museo di Castelvecchio, Verona
Giovanni Agostino da Lodi, Madonna mit Kind, Heiligen, Engeln und einem Stifter
Unbekannte Aufenthaltsort
Giovanni Agostino da Lodi, Johannes zwischen zwei Aposteln, (Die drei Lebensalter)
Tempera/Öl (?) auf Holz 44 x 55 cm
Gallerie dell’Accademia, Venedig
Giorgione di Castelfranco, Die drei Lebensalter, 1505-1510
Öl auf Leinwand, 62,5 x 77,6 cm
Galleria Pallatina, Palazzo Pitti, Florenz
Leonardo, Das letzte Abendmahl, 1495-1498
Santa Maria delle Grazie, Mailand
Giovanni Agostino da Lodi, Das Abendmahl in Emmaus
Öl auf Leinwand, 200 x 273 cm
Private Sammlung, Mailand
Pietro Monaco, Das Abendmahl in Emmaus, (nach Giovanni Bellini),1730-1763
Kupferstich, 36,3 x 50,5 cm
British Museum, London
Giovanni Agostino da Lodi, Die Fußwaschung, 1500
Tempera/Öl (?) auf Holz, 132 x 111 cm
Venedig, Gallerie dell‘Accademia
Alvise Vivarini, Segnender Christus, um 1494
Kirche San Giovanni in Bragora, Venedig
Giovanni di Niccolo Mansueti († vor 1527), Das Abendmahl in Emmaus
Öl auf Holz, 74,2 x 124,5 cm
Privatsammlung (versteigert bei Christie‘s am 9.07.2008)
Marco Marziale, Das Abendmahl in Emmaus, 1507
Öl auf Pappelholz, 119,5 x 146 cm
Gemäldegalerie, Berlin
Cima da Conegliano, Der ungläubige Thomas, 1504
Öl auf Kunststoffplatte, übertragen von Pappelholz
National Gallery, London
Tullio Lombardo, Die Krönung Marias, 1500-1502
Marmor
Bernabò-Kapelle, Kirche San Giovanni Crisostomo, Venedig
Giovanni Agostino da Lodi, Der Meister und der junge Schüler
Tempera/Öl (?) auf Holz, 26 X 35 cm
Pinacoteca di Brera, Mailand
Tullio Lombardo, Büste eines jungen Mannes, 1505
Marmor
Muzeul Brukenthal, Sibiu, Rumänien
Tullio Lombardo, Doppelporträt, 1495
Marmor
Galleria Giorgio Franchetti, Ca’ d’Oro, Venedig