Kranich und Fisch
Über Tierdarstellungen in RaffaelsWunderbarem Fischzug
Larissa Mohr, MA
Mein Dissertationsprojekt befasst sich mit den Zeichnungen von Giovanni da Udine (1487–1561), dessen zeichnerisches Werk und seine Rolle in der Werkstatt Raffaels (1483–1520) bisher nur in Teilaspekten erforscht sind. Seine Studien zeichnen sich häufig durch eine Nähe zu Musterbüchern aus, wobei zahlreiche Tier- und Pflanzenstudien oftmals isoliert voneinander auf einem Blatt vereint sind. Als Spezialist für Tierstudien war Giovanni an Raffaels Kartonentwurf des „Wunderbaren Fischzugs“ beteiligt (Abb. 2) – für die Kraniche haben sich vorbereitenden Studien erhalten, die sich auf einem Blatt aus einem Skizzenbuch wiederfinden (Abb. 1 und 3).
Dieses Blatt bildet den Ausgangspunkt für meine Mnemosyne-Schautafel: So lässt sich erstens davon ausgehend der Zusammenhang mit Vogelstudien in musterbuchartiger Anordnung – wie es bei Pisanello zu finden ist (Abb. 7) – aufzeigen. Zweitens bieten sich Albrecht Dürers detailliert kolorierten Studien, wie der Flügel einer Blauracke (Abb. 6), für einen motivischen Vergleich an, der jedoch durch stilistische und funktionale Unterschiede der Zeichenpraktiken besticht. Drittens geht die Darstellungsweise der Kraniche, auf einem Bein stehend und einen Stein haltend, auf antike Beschreibungen wie jene von Plinius dem Älteren in seiner Naturgeschichte zurück und reihen sich ikonographisch in eine seit der Antike bestehende Tradition ein (Abb. 8). Viertens veranschaulicht das Studienblatt von Giovanni da Udine die polythematische Natur seiner Skizzenbuchseiten, wobei die Zweiteilung der am oberen Blattrand angelegten Verkündigungszene an Giottos Darstellung zu erinnern scheint (Abb. 9) und in den Vatikanischen Loggien aufgegriffen wurde (Abb. 10). Auch der Katzenkopf (rechts auf Abb. 3), der hier einem Detail aus Giulio Romanos Madonna della Gatta (Abb. 4) gegenübergestellt wird, verdeutlicht die Beschäftigung Giovanni da Udines mit Tierstudien.
Auf einer zweiten Ebene, die in der Schautafel auf der rechten Seite des Fischzug-Karton (Abb. 2) visualisiert wird, geht es um einzelne Figurengruppen. Dabei werden zum einen Inspirationsquellen wie die antike römische Skulptur des Flussgottes Tiber (Abb. 11), die dem Fährmann des Fischzugs gegenübergestellt ist, und zum anderen die Rezeption einzelner kompositorischer oder figürlicher Fragmente und Versatzstücke in anderen Bildthemen ergründet. So wird neben den beiden Fischern, die die Netze aus dem Wasser ziehen (Abb. 16 und 17), häufig die Figur des vor Christus knienden Apostel Petrus – mitunter auch in anderen Figuren – aufgegriffen (Abb. 13 und 14).
Larissa Mohr, MA
Larissa Mohr ist Fellow der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Wien mit ihrem Dissertationsprojekt „Die Zeichnungen Giovanni da Udines (1487–1561)“ am Institut für Kunstgeschichte angestellt. 2020 co-kuratierte sie die Ausstellung "Raffael – Macht der Bilder. Die Tapisserien und ihre Wirkung", die in der Gemäldegalerie Alte Meister Dresden und im Columbus Museum of Art (Ohio) zu sehen war. Der Ausstellungsschwerpunkt ermöglichte es ihr, ihre Expertise zu Raffael zu erweitern, die sie in ihrer Masterarbeit über die Vorzeichnungen zu Raffaels Altarbild "Pala Oddi" begründet hatte. Im Frühjahr 2022 war sie Gastdoktorandin am Courtauld Institute of Art in London.