Jung und Alt
‚Ungleiche Paare‘ in der italienischen Kunst des 16. Jahrhunderts
Clara Nicolay, MA
Die Auseinandersetzung mit „ungleichen Paaren“ in Italien stellt ein Novum dar. Bisher wurde das Bildthema in der kunsthistorischen Forschung nur für den Raum nördlich der Alpen untersucht. Ziel der Arbeit ist es, ein erstes Bild der Darstellungen in der italienischen Kunst des 16. Jahrhunderts zu ermitteln, die Mann und Frau mit Altersunterschied gemeinsam zeigen und damit der grundlegenden Voraussetzung eines „ungleichen Paares“ entsprechen. Durch eigenständige Recherchen werden erstmals profane Darstellungen unter dem Aspekt des Altersunterschieds in einem Zeitraum zusammengetragen, in dem sich auch der nördliche Bildtypus entwickelte. Das Ergebnis ist auf der Bildertafel festgehalten. Sie beginnt mit den Darstellungen des „Hausbuchmeisters“, zeigt weitere Verarbeitungen aus dem Norden, bevor der Bogen zu den südlichen Beispielen und ihren Darstellungsvarianten geschlagen wird.
Der Grundgedanke der kunsthistorischen Forschung, die sich bisher mit Paaren unterschiedlichen Alters auseinandersetzte, war meist der einer komödiantischen Verbildlichung eines von der Gesellschaft belächelten oder verachteten Paares. Mit einem unvoreingenommenen Blick, der von einer detailgenauen Betrachtung der Werke selbst ausgeht, ist zu beurteilen, ob auch die italienischen Darstellungen dieser Vorstellung entsprechen.
Bei den Werken auf der Bildertafel handelt es sich um Zeichnungen, Drucke und Gemälde. Einige sind heute nicht mehr erhalten und nur durch Fotografien, Kopien oder Zeichnungen überliefert. Allein schon aufgrund ihrer unterschiedlichen Technik weisen die Werke eine Heterogenität auf. Diese wird jedoch durch wiederkehrende Bildtypen relativiert.
Blickt man auf die Bildkompositionen der italienischen Darstellungen, zeigt sich ihre Verwandtschaft besonders durch Halbfiguren vor einem nicht gestalteten, meist dunklen Hintergrund, die einen Großteil des schmal wirkenden Bildraums füllen und im close-up hervortreten. Ein gemeinsamer Ursprung ließ sich bisher nicht feststellen, doch durch die Motivik wird deutlich, dass sich die Darstellungen aufeinander beziehen. Sie zeigen überwiegend einen alten Mann mit junger Frau. Neben Darstellungen von zwei Personen, in Umarmung oder sich berührend, zuweilen mit Musikinstrumenten, existieren auch Gruppierungen von drei Personen. In letzteren erkennt der Betrachtende allerdings mehr ein Paar, das sich einander zuwendet und durch Blicke und Gesten interagiert – mit einer weiteren, meist weiblichen, Person im Hintergrund. Im Gegensatz zu den meisten Beispielen „ungleicher Paare“ nördlich der Alpen sind auch die Frauen bekleidet. Die Diskrepanzen zum bisher bekannten Motiv manifestieren sich des Weiteren in den Gesichtern der Alten, in denen die Groteske kaum als Mittel zur Verdeutlichung von Hinfälligkeit und Hässlichkeit des Greisentums zur Anwendung kommt. Zudem taucht das Motiv des Geldsacks seltener auf, und wenn, steht es nicht unbedingt im Zentrum der Komposition. All dies lässt eine veränderte Darstellungsabsicht vermuten.
Durch die Rückkehr zur neutralen Werkbetrachtung ist aufgefallen, dass der unterschiedliche Blick auf alternde Frauen und Männer durch die Jahrhunderte dazu beitrug, dass der Bildgehalt dieser Werke immer wieder neu- bzw. umgedeutet wurde und sich dadurch auch immer wieder die Bildtitel änderten. Der heute noch verwendete Terminus „ungleiches Paar“ etablierte sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts. Es gilt daher gerade die Werktitel der italienischen Beispiele zu überdenken und bisher anerkannte Titel wie „Seduzione“ in beschreibende wie „Alter Mann und junge Frau“ zu ändern, um nicht schon durch den Titel eine bestimmte Lesart vorzugeben, sondern, wie ich in meiner Arbeit herausstelle, der Komplexität und Widersprüchlichkeit unterschiedlicher Deutungsansätze der Werke Rechnung zu tragen.
Abbildungen
linke Spalte von oben nach unten:
- Meister des Amsterdamer Kabinetts: Alter Mann und junge Frau, ca.1475, Kaltnadelradierung, 111 x 94mm, Rijkskabinett (Amsterdam), oben beschnitten
- Hans von Kulmbach: Alter Mann und junge Frau, ca. 1510, Öl auf Holz, Privatsammlung
- Hans Baldung: Ungleiches Paar, um 1507, Kupferstich, 175 x 142 mm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
- Anton van Dyck, nach Tizian (?): Tizian und seine Mätresse (?), 1614-1641, Zeichnung auf Papier, ganzes Blatt: 20 x 15,3 cm, British Museum (London)
- Anton van Dyck: Tizian und sein Modell, 1530er Jahre, Kupferstich, 30 x 23,5 cm, Eremitage (Sankt Petersburg)
- Giovanni Cariani: La Seduzione, 1515/16, Öl auf Leinwand, 85 x 96 cm, Eremitage, Sankt Petersburg
mittlere Spalte von oben nach unten:
- Meister des Amsterdamer Kabinetts: Alte Frau und junger Mann, ca.1475-80, Kaltnadelradierung, 111 x 94mm, Rijkskabinett (Amsterdam)
- Zoan Andrea: Alter Mann und junge Frau, 1490-1507, Stich, 25 x 22,6 cm, Paris (Bibliothèque Nationale)
- Wenzel Hollar, nach Leonardo: Der Jüngling und die Alte, 1646, Radierung, 16 x 13,1 cm, Herzog Anton Ulrich Museum (Braunschweig)
- Unbekannt, nach Komposition von Leonardo: Ill-matched Couple, 1669-1707, 21,5 x 13,7 cm, Elmer Belt Library of Vinciniana (UCLA)
- Jacob Hoefnagel, nach Leonardo: Das ungleiche Paar in einer Landschaftsumrahmung, 1602, Feder in Braun, laviert, auf bräunlichem Papier, Spuren von Rot, Blau und Deckweiß; Umrahmung: Feder in Schwarz, grau und blau laviert, Aufgeklebte Zeichnung: 19,8 x 17,0 cm; gesamtes Blatt 31,1 x 29,3 cm, Albertina (Wien)
rechte Spalte von oben nach unten:
- Andrea Alciati: Senex puellam amans, Emblema CXVII, in: Emblemata, Padua 1621, S.495
- Bernardino Licinio: Konzert, ca.1520-1525, Öl auf Leinwand, 83,9 x 100,8 cm, Royal Collection Trust (London)
- Bernardino Licinio: Junge Frau mit Laute und Mann mit Geldbeutel, 1520-1525, Öl auf Leinwand, Maße unbekannt, Herkunft unbekannt
- Palma il Vecchio: Group of Three Figures, Vendramin Sammlung
- Palma il Vecchio: Venetian Nobleman and two Women, 1520er Jahre, Öl von Tafel auf Leinwand, 68,7 x 71,7 cm, Yale Art Gallery
- Giovanni Cariani: Drehleier spielender Dichter mit junger Frau, um 1520, Öl auf Leinwand, 80,5x74,5 cm, Kunsthistorisches Museum (Wien)
Clara Nicolay, MA
Clara Nicolay ist Kunsthistorikerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität Frankfurt. Sie studierte Kunstgeschichte und italienische Literatur in Frankfurt a.M., Turin und Rom. 2019 war sie an der Bibliotheca Hertziana in der Forschungsabteilung Michalsky und 2020/21 am Kunsthistorischen Institut Florenz als studentische Hilfskraft von Alessandro Nova beschäftigt. Dort beendete sie auch ihre Masterarbeit „Jung und Alt. Ungleiche Paare in der italienischen Kunst des 16. Jahrhunderts“, die mit dem Cellini Masterpreis ausgezeichnet wurde.
Seit März 2023 promoviert sie in Frankfurt bei Prof. Aurenhammer, Arbeitstitel: Zwischen Bühne und Leinwand. Theatrale Ereignisse, künstlerische Produktion und Netzwerkbildung in Florenz um 1600.